Wegen der 2013 entdeckten Verschmutzung des Grundwassers mit perfluorierten Chemikalien (PFC) sind zwei von drei Wasserwerken in Rastatt bereits außer Betrieb. Auf das dritte, das Hauptwasserwerk in Otterndorf, treibt die Fahne mit PFC-belastetem Grundwasser zu. Die star.Energiewerke, verantwortlich für die Versorgung von rund 48.000 Menschen mit jährlich etwa 2,3 Millionen Kubikmeter Wasser, haben allein im Jahr 2014 800.000 Euro zusätzlich in die Wasserversorgung investiert.
Kein Einzelfall
Die perfluorierten Chemikalien (PFC) im mittelbadischen Grundwasser sind kein Einzelfall: Auch in anderen Bundesländern gibt es derartige Funde. Beim zweiten PFC-Expertenforum in Rastatt am 16. März ging es um freiwillige Kontrollen, Kooperations- und Finanzierungsmöglichkeiten bei Schadensfällen und um die Frage, wie PFC durch Filtrationstechniken wirkungsvoll und wirtschaftlich aus dem Grundwasser entfernt werden kann. Denn ein Bodenabtrag kommt bei rund 500 Hektar mit PFC verunreinigten Flächen nicht in Betracht. Oberstes Gebot, das betonte Gastgeber Olaf Kaspryk, Geschäftsführer der star.Energiewerke, sei der Schutz des Trinkwassers.
Politik ist gefragt
Bei dem Expertenforum trugen Experten verschiedene Schadensfälle und den Stand von Forschungsvorhaben zusammen, die auf die Minimierung der PFC im Trinkwasser abzielen. Zentrale Frage dabei: Wer bezahlt die bislang durchgeführten Sicherungsmaßnahmen und die Forschung? Allein für das Einzugsgebiet der Stadt Rastatt kalkuliert Olaf Kaspryk derzeit mit rund acht Millionen Euro Aufwendung zur Ressourcensicherung hinsichtlich PFC bis 2018 – für ein mittelständisches und kommunal verankertes Unternehmen kaum zu stemmen. Landesumweltminister Franz Untersteller empfahl kürzlich zur Finanzierung der Aufwendungen den Trinkwasserpreis in Rastatt anzuheben. „Aber es kann doch nicht sein, dass die Bürger hier aus der Region über Generationen hinweg für eine Sanierungsmaßnahme bezahlen, die ein Fehler im Überwachungssystem verursacht hat“, hält Olaf Kaspryk entgegen.
23 Cent pro Kubikmeter
Chemie-Ingenieurin Lorena Rodriguez, bei den star.Energiewerken für das Thema PFC zuständig, stellte gemeinsam mit Dr. Sebastian Hesse von Technologiezentrum Wasser (Karlsruhe) die Forschungsprojekte und Versuche vor, die im Wasserwerk Niederbühl gemacht worden sind. Das Wasserwerk Niederbühl ist aktuell wegen belasteter Brunnen nicht am Netz. Zwei Verfahren wurden dort untersucht mit Blick auf die Minimierung von PFC im Trinkwasser: Ionenaustausch und ein Aktivkohlefilter. Beide Verfahren zeigten gute Ergebnisse. Die Kosten je behandeltem Kubikmeter Wasser werden zum Beispiel bei Aktivkohle auf 23 Cent geschätzt; Ionentausch käme teurer. Für die Wasseraufbereitung im Wasserwerk Rauental haben sich die star.Energiewerke auch deshalb für das Aktivkohleverfahren zur Entfernung von PFC aus dem Grundwasser entscheiden. Der Bau der Halle, in der künftig die Aufbereitungsanlage installiert wird, startete bereits im vergangenen November. Das Investitionsvolumen dafür veranschlagen die star.Energiewerke mit rund 3,2 Millionen Euro.
Hormonelle Auswirkungen
Dr. Jürgen Hölzer, Sozial- und Umweltmediziner an der Universität Bochum stellte Daten aus Tierversuchen und epidemologischen Studien mit Personen vor, die mit Perfluoroctansäure belastetes Trinkwasser konsumiert hatten. Unter anderem konnte er bei gut 300 Personen in Arnsberg, wo 2006 im Einzugsbereich des Flusses Möhne durch kriminelle Machenschaften PFC-belastete Abfälle auf landwirtschaftliche Flächen ausgebracht wurden, deutlich höhere PFC-Werte im Blutplasma nachweisen als in einer Vergleichsgruppe. Zudem verwies er auf internationale Studien, die Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Perfluoroctansäure in Nahrung und Trinkwasser mit niedrigen Geburtsgewichten bei Babys geben. Wissenschaftler sehen zudem Auswirkungen auf die hormonelle Entwicklung von Jugendlichen, die immunologische Entwicklung sowie den Schilddrüsenstoffwechsel. PFC ist bereits in geringen Dosen im Körper nachweisbar und hat Auswirkungen. Aktuell werde die akute Toxizität zwar als gering eingestuft. Dennoch fordert Dr. Jürgen Hölzer dringend die Minimierung des Eintrags von perfluorierten Stoffen in Trinkwasser im Sinne des vorbeugenden Gesundheitsschutzes.
Thema von nationaler Tragweite
Die Rolle der Verursacher in Rastatt ist bis heute nicht geklärt. Im Rahmen des Experten-Forums trugen die Teilnehmer rund 100 ähnliche Fälle zusammen und demonstrierten damit die nationale Tragweite des Themas PFC. Moderator Wilfried Ludwigs vom Steinbeis Transferzentrum Mittelstand sah am Ende ein mehrstufiges Modell zum Umgang mit den Belastungen durch PFC:
- Das Schaffen einer Schadensplattform, um die Fälle bundesweit und auch international zuverlässig zu erfassen.
- Die Selbstverantwortung der Wasserversorger zu erweiterten Kontrollen hinsichtlich PFC.
- Die Kooperation von Versorgern innerhalb der Regionen.
- Förderung von Innovation
- Eine dreiteilige Finanzierung, an der sich sowohl die Verbraucher als auch Land sowie Bund und EU über Forschungsförderung beteiligen.
Nächste Schritte
„Was ist uns der Schutz des wichtigsten Lebensmittels wert?“, fragte Gastgeber Olaf Kaspryk am Ende der Veranstaltung. Hier sei man beim zweiten Expertenforum ein ganzes Stück weiter gekommen, bedankte er sich bei den Anwesenden. Nun gelte es, die Schritte selbst in die Tat umzusetzen und weiter um die Unterstützung der Politik zu werben. Diese bekommt er in Rastatt von Oberbürgermeister Hans Jürgen Pütsch, der sich am Morgen auch in einem Grußwort an die Fachleute gerichtet hatte. In dem bundesweiten Schulterschluss von Betroffenen sieht der Geschäftsführer der star.Energiewerke die große Chance, nun auch auf Landesebene Gehör und kompetente Ansprechpartner zu finden – die waren der Einladung zum Experten-Forum nicht gefolgt.